Die Frage des Umgangs mit Vollverschleierung bewegt nicht erst seit dem Verbotsversuch
der Kieler Christian-Albrechts-Universität viele Menschen, Parteien und Institutionen.
Auch in unserer Partei wurde sehr intensiv über die Gründe des Tragens von Burka und
Niqab und über mögliche Verbote diskutiert. In zahlreichen Gremiensitzungen wurde sich
inhaltlich ausgetauscht und um eine Positionierung der Partei gerungen.
Bereits auf dem Programmparteitag zur Landtagswahl am 27.11.2016 hat sich die Partei
inhaltlich positioniert und gegen weitergehende Verbote als die, die es heute ohnehin schon
gibt, beispielsweise was das Tragen bei Gerichtsverhandlungen angeht, ausgesprochen.
Vor etwa drei Jahren haben wir um diese beiden Absätze lange und intensiv diskutiert und
argumentativ viel gerungen. Dieser Beschluss vereint die verschiedenen Aspekte einer
komplexen Thematik und gilt für uns als kluge Entscheidung fort.
Für uns gilt weiterhin: In einer Zeit gezielter Spaltungsbestrebungen von islamistischer und
rechter Seite ist es unumgänglich, einen kühlen Kopf zu bewahren und Streitfragen sachlich
zu diskutieren statt Kurzschluss- oder Alibilösungen zu verfolgen. Auch und gerade nach der
öffentlich hitzig geführten Diskussion um ein „Verschleierungsverbot“ an der Kieler Christian-
Albrechts-Universität fühlen wir uns in dieser gemeinsam gefundenen Position bestätigt. Klar
ist, dass wir die handelnden Akteur*innen an den Hochschulen mit diesen Fragen nicht allein
lassen werden und die Verantwortung nicht auf die einzelne Bildungseinrichtung oder die
individuelle Lehrperson verlagern wollen. Nach Geschlechtern getrennte Lehrveranstaltungen, extrem komplizierte Prüfungsmodalitäten oder andere dem Miteinander und gegenseitigen Austausch entgegenstehende Konsequenzen, wären für uns inakzeptabel.
Antrag: | Links, grün, feministisch: Die Freiheit von Frauen schützen – Verbot der Vollverschleierung in öffentlichen Gebäuden |
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Antragsteller*in: | Anna Tranziska (KV Pinneberg), Kerstin Mock-Hofeditz (KV Nordfriesland), Steffen Regis (KV Kiel), Malte Krüger (KV Steinburg), Jörn Pohl (KV Kiel), Konstantin von Notz (KV Herzhogtum Lauenburg), Luise Amtsberg (KV Kiel), Gazi Sikican (Sprecher LAG Migration und Flucht), Benita von Brackel-Schmidt (Sprecherin LAG Migration und Flucht), Uta Röpke (KV Herzhogtum Lauenburg), Catharina Nies (KV Flensburg), Aminata Touré (KV Neumünster), Lasse Petersdotter (KV Kiel), Laura Mews (KV Rendsburg-Eckernförde), Jasper Balke (KV Lübeck), Nele Johannsen (KV Ostholstein), Rebecca Such (KV Kiel), Uta Boßmann (KV Kiel), Alice Hakimy (KV Neumünster), Mayra Vriesema (KV Nordfriesland), Jonathan Morsch (KV Rendsburg-Eckernförde), Eka von Kalben (KV Pinneberg), Martin Drees (KV Plön) |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 18.10.2019, 16:58 |
Kommentare
Stephan Wiese:
Ute Lefelmann-Petersen:
Zur Positionierung vom 27.11.2016:
"Die große Mehrheit der Muslime und Muslima in Deutschland sieht die Vollverschleierung nicht als religiöses Gebot. Aber diese Entscheidung treffen die individuellen Grundrechtsträgerinnen, also die Frauen selbst, und niemand anderes für sie. Grundrechte sind nicht verhandelbar!“
Meine Überlegungen dazu:
Unter Punkt 22 des aktuellen Zwischenberichts zum Grundsatzprogramm bekennen wir GRÜNE, das wir als Teil der feministischen Bewegung die Emanzipation fortschreiben. Gesellschaftlich vorgegebene Rollenzwänge wollen wir überwinden.
Hier sollten wir diskutieren, inwieweit die Vollverschleierung keinen Rollenzwang repräsentiert und damit zu tolerieren ist und zwar auch in unserem zur Neutralität verpflichteten Bildungssystem.
Interessant ist mit Blick auf die Schulen auch der §4, Artikel 2 unseres Schulgesetzes:
"Es ist die Aufgabe der Schule, die kognitiven, emotionalen, sozialen, kreativen und körperlichen Fähigkeiten des jungen Menschen unter Wahrung des Gleichberechtigungsgebots zu entwickeln. Der Bildungsauftrag der Schule basiert auf den im Grundgesetz verankerten Menschenrechten, den sie begründenden christlichen und humanistischen Wertvorstellungen und auf den Ideen der demokratischen, sozialen und liberalen Freiheitsbewegungen."
Unter Punkt 30 des Zwischenberichts zum Grundsatzprogramm bekennen wir Grüne uns zu den verbrieften Menschenrechten und erteilen kulturrelativistischen Betrachtungsweisen eine Absage.
Vor diesem Hintergrund sollten wir uns die Mühe machen zu diskutieren, ob die Sichtbarkeit, das Sichtbarmachen, das Sichtbarsein von Frauen in der Gesellschaft im Sinne der Menschenrechte und der unantastbaren Würde für die GRÜNEN ein universeller Wert ist oder eben doch kulturrelativierend verhandelbar sein soll.
Auch könnte es wichtig sein, mit Blick auf den Zwischenbericht abzugleichen, ob die Toleranz der Vollverschleierung eben doch Einzelinteressen dient und weniger dem Gemeinwohl, zu dem wir uns im Zwischenbericht ausdrücklich bekennen.
Kirk Fünderich:
Giordano-Bruno-Stiftung
Stellungnahme zum Antrag „Verbot der Vollverschleierung“
(Antrag LPT 10-19, Bündnis 90 / Die Grünen)
Die Giordano-Bruno-Stiftung unterstützt die Forderung nach einem Verbot der Vollverschleierung in
allen öffentlichen Gebäuden des Bundes, der Länder und der Kommunen, insbesondere an
Sozialisationsinstanzen/Bildungseinrichtungen (Hochschulen, Schulen und Kindertagesstätten). Wir
schließen uns hier der Argumentation der Arbeitsgruppe Frauenrechte und Religion von TERRE DES
FEMMES an, die in ihrer Stellungnahme vom 29.03.2018 zu folgendem Fazit gelangte: „Wer für die
Vollverschleierung (VV) als angeblichen Ausdruck von Religionsfreiheit und einer offenen Gesellschaft
plädiert, zeigt sich blind für ihre misogyne (frauenhassende) und fundamentalistische Bedeutung. Die
VV zu akzeptieren, heißt Verweigerung von Solidarität mit den Frauen, die unter die
Vollverschleierung gezwungen werden und die Sanktionen bis zum Tod fürchten müssen, wenn sie
sich widersetzen. Die zunehmende Verbreitung des Islamismus, die Einwanderung von Menschen aus
islamisch geprägten Ländern, welche Opfer dieses religiösen Fundamentalismus sind, erfordern klare
Signale. Je „schwächer“ eine Gesellschaft auftritt – als Schwäche wird von extremen Rechten und
FundamentalistInnen stets leider auch die Toleranz betrachtet –, desto mehr ermuntert dies
diejenigen, die nur Autorität und das Recht des Stärkeren kennen.“
(https://www.frauenrechte.de/images/downloads/religion/TERRE-DES-FEMMES-Argumente-zur-
Debatte-um-die-Vollverschleierung.pdf)
Darüber hinaus plädiert die Stiftung zur Stärkung des Verfassungsgebots der weltanschaulichen
Neutralität des Staates für ein generelles Verbot offensiver religiöser oder weltanschaulicher
Symbole und Kleidungsstücke im öffentlichen Dienst sowie bei Schülerinnen und Schülern im
Regelschulalter. Rolf Schwanitz (Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung und des Instituts für
Weltanschauungsrecht sowie ehemaliger Staatsminister im Bundeskanzleramt) hat die komplexen
juristischen und rechtspolitischen Hintergründe der Debatte um ein Verbot der (Voll-)Verschleierung
in öffentlichen Bildungseinrichtungen in einem Beitrag der ifw-Schriftenreihe („Aktuelle
Entwicklungen im Weltanschauungsrecht“, Nomos-Verlag 2019) analysiert, den wir dieser
Stellungnahme hinzufügen, da er uns geeignet erscheint, den Antrag auf ein Verbot der
Vollverschleierung argumentativ zu untermauern.
Oberwesel/Lübeck, den 24.10.2019
Dr. Michael Schmidt-Salomon
(gbs-Vorstandssprecher)
Ingo Eitelbach
(Sprecher der Regionalgruppe Schleswig-Holstein)
Claudia Ulrich:
Hans-Peter Hopp: